Chattia - Hassia - (Nord-) Hessen
Die historischen Wurzeln nordhessischer Identität und das auf dieser basierende regionale Selbstverständnis und Selbstbewusstsein der Nordhessen reichen über zwei Jahrtausende zurück. Sie reichen zurück in die Zeit existentieller Kämpfe germanischer Stämme gegen römische Legionen in augusteischer Zeit.
Seit den Feldzügen der Augustus-Stiefsöhne Drusus und Tiberius in den Jahren 12/9 v. Chr., über die Vernichtungsfeldzüge des Drusus-Sohnes Germanicus 14 - 16 n. Chr. Bis zu römischen Kriegen gegen die Chatten 41 und 50 n. Chr. und unter Kaiser Domitian 83 n. Chr. war die „Chattia“, das Chattenland, Schauplatz härtester militärischer Auseinandersetzungen.
Die Chatten, einer der größten und kampfstärksten germanischen Stämme, verhinderten eine dauerhafte römische Besetzung ihres Territoriums, obwohl ihr Hauptort Mattium und ihr Zentralheiligtum von den Legionen des Germanicus 15 n. Chr. brutal zerstört wurden.
Zwischen den Chatten und den in frühmittelalterlicheni Quellen bezeugten Hassi/Hessi gibt es eine historische Kontinuität. Die Chatten, die auch während der „Völkenwanderung“ ihr Stammesgebiet behaupten konnten, sind offensichtlich über einen längeren lntegrationsprozess im späteren fränkischen Reich aufgegangen. Durch die Lautverschiebung von Chatten zu Hassi/Hessi haben sie letztlich dem Hessenland ihren Namen vererbt.
Die Chatten siedelten um die Zeitenwende in einer von Flüssen und Bächen geprägten Mittelgebirgslandschaft zwischen dem Main im Süden, der Lahn im Westen, der Werra im Osten und der Fulda bzw. Diemel im Norden. Der Siedlungskern lag im noch heute so bezeichneten „Chattengau“. „Mattium“ vermutet man in der Gemarkung Maden oder Metze im Raum Gudensberg/Fritzlar. Ihre Nachbarn, mit denen sie oft verfeindet, aber auch durch Heirat verwandtschaftlich verbunden waren, sind in augusteischer Zeit die Cherusker im Norden, die Marser im Nordwesten und östlich des Werratals im heutigen Thüringen die Hermunduren.
Die ausführlichste Beschreibung der Chatten findet sich in der „Germania“ des römischen Historikers Tacitus. Er beschreibt Siedlungsgebiet und Charakteristika der Chatten wie folgt: "Das Gelände ist nicht so flach und sumpfig wie das der übrigen Stämme, auf die sich Germanien erstreckt; die Hügel ziehen sich hin und werden nur allmählich seltener, und seine Chatten begleitet der Herkynische Wald von Anfang an und setzt sich auch wieder ab. Die Stammesangehörigen haben deshalb abgehärtetere Körper, straffe Gliedmaßen, einen drohenden Blick und eine größere Geisteskraft. Für Germanen gehen sie mit viel
Überlegung und großem Geschick vor: Sie übertragen das Kommando ausgewählten Leuten, hören auf Vorgesetzte, kennen geordnete militärische Verbände, nehmen günstige Gelegenheiten wahr, verschieben auch einmal einen Angriff, teilen den Tag ein, verschanzen sich bei Nacht, zählen Glück zu den unwägbaren, Tapferkeit zu den sicheren Größen und setzen, was ganz selten vorkommt und sonst nur römischer militärischer Zucht vergönnt ist, mehr auf den Heeresführer als auf das Heer. lhre ganze Stärke liegt im Fußvolk, das sie außer mit Waffen auch mit Schanzzeug aus Eisen und Proviant beladen: Die anderen kann man in eine Schlacht ziehen sehen, die Chatten dagegen in den Krieg."
Ungeachtet noch unzureichender systematischer Erforschung der Chatten ist davon auszugehen, dass sie überwiegend als Bauern in Weilern und Gehöften lebten. Dörfer mit mehreren hundert Einwohnern gehörten zu den Ausnahmen. Keine der zumeist über Oberflächenfunde bekannten Siedlungen in Nordhessen wurde bislang vollständig ausgegraben. Stadtartige Ansiedlungen, wie sie in Mitteleuropa in der vorrömischen Eisenzeit mit den von Caesar ausführlich beschriebenen keltischen „Oppida“ bestanden, sind aus chattischer Zeit nicht bekannt.
Die Chatten, bodenständige Bauern und gleichzeitig mutige und kampfstarke Krieger, waren über Jahrzehnte gefürchtete Gegner römischer Feldherren.
Das Chatten-Land lag seit den ersten Germanien-Feldzügen des Drusus wie eine „Barriere“ zwischen dem römisch beherrschten Rhein/Main-Gebiet und den germanischen Stammesterritorien zwischen Weser und Elbe. Diese waren das von Augustus vorgegebene östliche Grenzgebiet der offensichtlich fest geplanten römischen Provinz „Germania“. Aufgrund der geopolitischen Lage ihres Siediungsraumes waren die Chatten - wie auch benachbarte Stämme - zwangsläufig und existenziell von der augusteischen Expansionspolitik betroffen.
lm Zuge der Drusus-Feldzüge waren die Chatten in den Jahren 10/11 v. Chr. Massiv betroffen. Bei Cassius Dio ist nachzulesen, dass Drusus ihnen schweren Schaden zugefügt und sie zeitweise unterworfen habe. lm Jahr 9 v. Chr. marschierten Drusus-Legionen vom Legionslager Mainz/Mogontiacum kommend quer durch Chatten- und Cherusker-Land bis zur Elbe. Entlang der Marschroute sind Plünderung und Brandschatzung an der Tagesordnung. An strategisch wichtigen Punkten lässt Drusus Befestigungen und Nachschublager anlegen - so auch an einer Werrafurt bei Hedemünden, der
nördlichen Peripherie der „Chattia“. Logistischer Logik folgend dürften solche befestigten Standorte auch an einer Fuldafurt im Raum Kassel und an einer Ederfurt bei Fritzlar angelegt worden sein. Archäologische Funde in Kassel und entlang der römischen Marschroute im Kaufunger Wald stützen diese These und stoßen in der Öffentlichkeit auf zunehmendes Interesse.
Interessante Fragen stellen sich auch im Vorfeld des 2000. Jahrestages der sog. Varus-Schlacht, in der 9 n. Chr. unter Führung des Cherusker-Fürsten Arminius drei römische Legionen von Kriegern germanischer Stämme vernichtet wurden.
Dass an der historisch bedeutsamen „Clades Variana“ kampfstarke chattische Kontingente beteiligt waren, gilt als historisch gesichert. Wo und wie das geschah, muss mit Blick auf den derzeitigen Forschungsstand offen bleiben. Da die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Chatten in jüngster Zeit systematisch in Angriff genommen wurde, darf man auf weitere klärende Forschungsergebnisse hoffen.
Eine gute Grundlage für eine vertiefende Beschäftigung mit den Chatten bot eine Ringvorlesung des Seminars für Geschichte der Universität Kassel unter Leitung von Prof. Helmuth Schneider zum Thema „Die Chatten im Zeitalter der römisch-germanischen Auseinandersetzungen“ im Wintersemester 2006/2007.
Die Vorträge sollen 2008 als Buch in einem wissenschaftlichen Verlag publiziert werden. Bereits im November 2006 ist der Band „Hessen in der Antike - Die Chatten vom Zeitalter der Römer bis zur Alltagskultur der Gegenwart", herausgegeben von Dorothea Rohde und Helmuth Schneider im Euregio-Verlag erschienen. Dass die erste Auflage dieses Buches bereits nach kurzer Zeit vergriffen war, beweist das Interesse insbesondere in Nordhessen an chattischer Geschichte. Mit diesen Publikationen soll eine Phase der Chatten-Forschung initiiert werden, die auf eine ganzheitlich-nachhaltige Bewertung des Germanenstammes zielt, der der Völkerwanderung standhielt und Hessen seinen Namen gab.
© Urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten.
Impressum: Verantwortliche Stelle im Sinne der Datenschutzgesetze, insbesondere der EU- Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), ist: Dr. phil. Johann-Henrich Schotten, 34560 Fritzlar-Geismar,
E-Mail: holzheim@aol.com und fritzlar-fuehrungen@gmx.de
Titeldesign: nach Kathrin Beckmann
Dank an Karl Burchart, Horst Euler, Marlies Heer, Klaus Leise. Wolfgang Schütz und Dr. Christian Wirkner für Hinweise und Tipps, Johannes de Lange für die Scan-Vorlagen
Die Seite ist nichtkommerziell und wird vom Verantwortlichen ausschließlich privat finanziert!
Wir benötigen Ihre Zustimmung zum Laden der Übersetzungen
Wir nutzen einen Drittanbieter-Service, um den Inhalt der Website zu übersetzen, der möglicherweise Daten über Ihre Aktivitäten sammelt. Bitte überprüfen Sie die Details in der Datenschutzerklärung und akzeptieren Sie den Dienst, um die Übersetzungen zu sehen.