Sollte eines Tages eine Geschichte der Vor- und frühgeschichtlichen Forschungen in Nordhessen erstellt werden, so wird man um die Schilderung des Wirkens und des Einflusses des promovierten Historikers Dr. Udo Schlitzberger, der auch über viele Jahre Landrat des Landkreises Kassel war, nicht vorbeikommen. Er hat sich über lange Zeit bemüht der seiner Meinung nach stiefmütterlichen Behandlung der nordhessischen Prähistorie durch die zuständige Behörde in Wies-baden entgegenzuwirken. Dabei lagen ihm vor allem die Jahrhunderte vor und nach Christi Geburt, die Latène- und die Römerzeit, sehr am Herzen. Seine Verdienste um die Altwegeforschung im kurhessischen Raum, bei der ihm auch sein Freund Klaus Fröhlich sehr engagiert zur Seite stand, sind unbestritten. Der Hintergrund dieser Bemühungen bildete wohl der Wunsch historischen Ereignissen wie der Varus-Schlacht 9 n. Chr. und dem Germanicus-Feldzug gegen die "germanischen" Chatten einige Jahre später möglichst nahe zu kommen, am besten so nahe, daß sie beinahe in seiner eigenen Heimat hätten stattfinden können und sollen. Darüber publizierte er mit Fröhlich mehrere Bücher, deren Mate-rialdarstellungen nicht zu unterschätzen sind. Leider blieb er aber bis dato konkrete Funde zu den römischen Feldzugen oder gar Okkupationen schuldig, was in Fachkreisen vor Ort zwar immer wieder angemahnt ihm aber nie vorgeworfen wurde.
Mit der Publikation der Forschungsergebnisse zur Weltkarte des Klaudius (Claudius) Ptolemaius aus dem 2. Jh. n. Chr. durch Prof. Dr. Lelgemann u. a. (TU Berlin) schien endlich ein Durchbruch in der Erforschung der Römerzeit er-reicht, und es ist kein Wunder, daß sowohl Dr. Schlitzberger als auch seine Parteikollegen wie der MdB Edgar Franke (Sohn des ehemaligen Landrates des Kreises Fritzlar-Homberg, ein Förderer des Regionalmuseums Fritzlar) und der Gu-densberger Bürgermeister Frank Börner (Abb. 1, mit Ortsschild) freudig dem Ereigniss der Präsentation entgegensahen. Dazu sollte man wissen, daß die im nahen Fritzlar bisweilen scherzhaft als "Kurfürstlich hessische Sozialdemokraten" bezeichneten Lokalpolitiker häufig ein ehrlicheres Heimatbewusstsein an den Tag legten als andere.
Den Vortrag am 16. April 2011 im Bürgersaal des Rathauses von Gudensberg kann man durchaus als denkwürdig be-zeichnen. Die anschließende Diskussion brachte aber eigentlich mehr Fragen als Antworten, denn keinem der Zuhörer scheint aufgefallen zu sein, daß bei der Akzeptanz der Schlussfolgerungen aus diesen Forschungen sich auch die Suche nach den nordhessischen Chatten und ihren Hauptort "Mattium" erledigt hatte, dessen Existenz ja allein auf der Vermu-tung beruht, daß mit dem zuvor durch das römische Heer passierten Fluss "Adrana" die Eder gemeint sei. Die in den spä-ten 1970er Jahren zusammen mit Hartmut Laumann(+) im LM. Kassel gereifte Erkenntnis über drei ähnliche Flussnamen ("Adarna", "Adrana" = "träge" und "Ardana"), hinter denen sich Eder, Lahn und Aar (südl. Limburg, Danke für den Hinweis an StDir. Dr. Ulrich Weiß, Bad Wildungen) verbergen könnten, förderte eher die Skepsis am nordhessischen "Chattengau", während der gebirgige Teil Oberhessens bzw. Hessen-Nassaus (s. Tacitus, Behaghel 1942 und die DDR-Forschung nach dem Kriege) sich eher anböte. Dazu kommt noch die Frage nach der Herkunft des Namens "Katzen-ellenbogen" in dieser Region. Sollte die Ems ihren aktuellen Namen aber von den in der 2. Hälfte des 1. Jh. v. Chr. zugewanderten Amsivariern erhalten haben (was sich archäologische nicht ausschließen läßt), dann ergibt auch "Amisia" als Name des zugehörigen Hauptortes einen Sinn.
Darüberhinaus kann der von Ptolmaius für das 2. Jh. n. Chr. als wesentlicher Platz angesehene Ort durchaus auch noch im 4. und 5. Jh. n. Chr. seine Bedeutung gehabt haben, wie die zeitgenössischen Funde von der Flur "Hofestatt" in Obervorschütz belegen. Die vom Bezirksarchäologen in Marburg betreuten Feldbegehungen ergaben in der Region süd-lich Gudensberg eine Reihe interessanter Funde aus der Römer- und Völkerwanderungszeit (1. vor bis 5. nach Chr.), die uns in Fritzlar gelegentlich ironisch vom "Zentralfriedhof" (warum jetzt nicht auch "Zentralsiedlung"?) sprechen ließen. Damit läge aber Gudensberg nun nicht im "Chatten-" sondern im "Amsivariergau", was hier sicher nicht jedem zusagt, und Dr. Schlitzberger müßte nun "plattduitsch" lernen.