Von Prof. Dr. E. Jacobshagen
Auf die stille, zähe und Idealistische Arbeit der Laienforscher, die zwar von der Öffentlichkeit wenig beachtet, aber von der Wissenschaft längst anerkannt und ausgewertet wird, haben wir an dieser Stelle schon oft hingewiesen, nicht zuletzt auch im Hinblick auf die aktiven Laienmitarbeiter, die das Kasseler Naturkundemuseum am Steinweg so lebendig halten. Mit den folgenden Zeilen stattet nun der bekannte Eiszeitforscher Prof. Dr. Jacobshagen seinen speziellen Laienhelfern für ihre wissenschaftliche hochbedeutende Forscherarbeit seinen öffentlichen Dank ab. Und wir wünschen, daß das Beispiel dieser Männer anregend und werbend wirken möge, vor allem in jüngeren Jahrgängen, so wie in England z. B., wo in diesen Sommermonaten allein 500 Amateurachäologen - Ärzte, Rechtsanwälte, Fabrikarbeiter. Ingenieure, Gymnasiasten u. a. - „Maulwurfsferien“ genommen haben, um zur Erholung mit dem Spaten in der Erde zu wühlen und unter wissenschaftlicher Kontrolle sechs altrömischen Siedlungen in allen Gegenden Englands ihre Geheimnisse zu entlocken. (F.H.)
Alle Naturwissenschaft will der Gegenwart dienen. Sie möchte die Urgeheimnisse der Natur weiter und weiter übersehen können, und sie will immer tiefer in die Zusammenhänge Ihres Geschehens eindringen. Welcher Segen aus ihrem Streben für das äußere Menschenleben entsprungen ist, das liegt vor aller Augen. Uns allen setzt das Schicksalsringen innerlich am schwersten zu. Für jedermann auf der Erde, der in seiner Lebensschlacht steht, hat Alexander von Humboldt, der edelsten und größten Söhne unseres deutschen Volkes einer, als erster in fast 50jähriger Forscherarbeit vor mehr als hundert Jahren eine Naturwissenschaft gegründet, die nach Goethes Worten „dem Menschen nützt, indem sie ihn erhebt“. Alle Laienforscher, von denen ich hier schreibe, haben den Wunsch, ihren Mitmenschen Erkenntnisse und innere Werte zu zeigen, die etwas für sie bedeuten können.
Das Eiszeitenalter der Erde hat in unserer Heimat nach einer Dauer von etwa 1 Million Jahren im wesentlichen vor vermutlich 18000 Jahren geendet. Da dürfen Sie nun nicht sagen: Na, das ist längst vorbei und geht mich nichts mehr an. Selbst der Astronom, der mit dem Riesenfernrohr auf der kalifornischen Sternwarte auf dem Mount Palomar beobachtet, und dem da Lichtstrahlen begegnen, die von Sternen vor einer Milliarde Jahren ausgesandt wurden, erforscht dennoch die Gegenwart der Natur! Von der Allnatur gelten Goethes Worte: „Vergangenheit und Zukunft kennt sie nicht, Gegenwart ist ihre Ewigkeit“. Der Naturforscher befindet sich täglich dem Unendlichen und Ewigen gegenüber.
Aus mehr als 400000 Jahren des Eiszeitenalters haben wir in Deutschland bereits verläßliche Zeugnisse menschlichen Lebens. Vielleicht begann dieses im Eiszeitenalter! So ist Anlaß genug, gerade Eiszeitenkunde zu betreiben.
Felix Pusch, Bad Wildungen (1886 bis 1948), hatte als einziger Sohn seines Vaters Druckerei und Buchhandlung übernommen. Von klein auf hatte es ihn stärker zur Naturforschung als in seinen Beruf gezogen. Aus Büchern und aus dem Umgange mit tüchtigen Wildungern verstand er es, von den Pflanzen, von der Erdgeschichte der Heimat und ihren ausgestorbenen Pflanzen und Tieren, deren Resten er in den heimischen Gesteinen begegnete, derartige Kenntnisse zu erwerben, daß er nun den Forschern des In- und Auslandes, die bei Wildungen arbeiteten, ein begehrter Führer und Helfer war. In Gesprächen mit ihnen suchte er, der ein guter und froher Gesellschafter war, wissenschaftlich selbst weiter und weiter vorzudringen. Eine große Beobachtungsgabe und ein Findergenie war ihm eigen. Ihm danken wir die Entdeckung und erste Ausbeutung des bisher weitaus bedeutendsten eiszeitlichen Tierfundplatzes Nordhessens, der Lößlehmgrube Biedensteg im Wildetal. 1932, im Gespräch mit einem Erdgeschichtsforscher über das während einer Eiszeit vom Winde angewehte Gestein der Biedensteggrube, hatte Pusch gefragt, ob man dort nie eiszeitliche Tierreste gefunden habe. Nein, hieß es. Das war Pusch unvorstellbar. Er steuerte darum am folgenden Nachmittage gleich mit zwei Umhängetaschen und dem nötigen Schanzzeug zum Biedensteg. Gegen Mitternacht mußte ein Auto aus der Stadt die Beute des ersten Tages Pusch'scher Eiszeitforschung heimfahren! Alsbald leitete er eine ausgezeichnet durchgeführte planmäßige Ausgrabung am Biedensteg ein. Sie wurde ein großartiger Erfolg. Drei Jahre später machte er dort noch eine zweite Plangrabung, die wichtige Ergänzungen brachte.
1941 nahm ich die Bearbeitung der Pusch´schen Ausgrabungen in die Hand, wertete sie auch tiergeographisch aus und verband sie sogleich mit erdgeschichtlichen Studien im Lande. Sie sollten zeigen, daß Tundrenspuren in Nordhessen wirklich vorhanden waren. 1950 reiste ich nach Niederschrift eines entsprechenden Buches mit Vorträgen durch Nordhessen und veranstaltete in Ziegenhain und Wildungen Eiszeiten-Ausstellungen. Vier Jahre nach Puschs Tode konnte ich an einer anderen Stelle des Biedenstegs dann die unterste der früheren Fundschichten als erneut fundergiebig nachweisen.
Rudolf Lorenz, Bad Wildungen, der inzwischen durch reiche eigene Funde die Reihe der Wildunger Laienforscher erfreulich verlängert hat, und ich haben aus ihr die Zahl der von Pusch gefundenen Tierarten versechsfachen können. Damit hat Puschs Fundplatz eine wohl in ganz Deutschland einmalige wissenschaftliche Bedeutung erhalten. Hier kann ich nur auf sie verweisen.
Adolf Luttropp. Ende der dreißiger Jahre hatte ein anderer großer Laienforscher auf eiszeitlichem Gebiet dem Fehlen einer offiziellen Hinterlassenschaft eiszeitmenschlidier Waffen und Geräte gründlich abgeholfen, Adolf Luttropp, Lehrer in Ziegenhain. 1938 legte er die ersten Faustkeile des Jung - Acheul, aus hessischem Quarzit gefertigt, auf den zuständigen Amtstisch.
Tausende von Waffen und Geräten hatte er im Kreise Ziegenhain gesammelt. Aus Ihnen suchte er die schönsten Stücke aus, als wir nach Ziegenhain und Wildungen mit Hilfe des Heimatbundes für Kurhessen und Waldeck auch in Kassel, in Marburg und in Fritzlar Eiszeit-Ausstellungen veranstalten konnten. Weit über 20000 Besuchern haben seine Funde vorgelegen. Sie bestätigten die fünf letzten eiszeitlichen Menschenkulturen Westeuropas für Nordhessen. Da lagen auch die in Deutschland nie gefundenen kleinen frühen Faustkeile der Neandertalerkultur. Und da wurden die Techniken des Levallois und des Clacton in hessischem Quarzit aus verschiedenen Eiszeitperioden gezeigt! Luttropp machte Nordhessen zum fundreichsten Gebiete in Deutschland, errang sich die Anerkennung der Spitzen der internationalen Eiszeltforachung und gewann auch freundschaftliche Beziehungen zu einigen deutschen Fachleuten. Heute soll auch von Luttropp nur kurz die Rede sein, denn ich muß hier noch von der musealen Arbeitsgemeinschaft Fritzlar berichten.
Im Herbst 1952 war in Fritzlar Eiszeiten-Ausstellung. Wir zeigten eiszeitliche Tierreste, dazu Waffen und Geräte von Eiszeitmenschen aus dem Heimatboden.
Sieben Laienforscher in Fritzlar
Ludwig Köhler, Optiker und Uhrmacher am Markt, hatte sich längst praktisch mit Geschichte- und Vorgeschichtsforschung befaßt. Der damalige Kreisbaumeister, Walter Knapp, hegte ähnliche Interessen. Die Fundstücke unserer Ausstellung raubten ihnen die Seelenruhe. Nur sonntags hatten sie zum Suchen Zeit. Da aber regnete es. In Räuberzivil rollten beide früh ins Gelände. Von den lehmigen Äckern schleppten sie nach und nach 3000 Quarzitsplitter und Stücke schwarzen Kieselschiefers ab. Mittags erfolgte die Landung der Herren in Fritzlar. An 500 Geräte eiszeitlicher Menschen hielten der Kritik stand! - Der Erfolg unserer Pioniere hat die Kopfzahl der Laienforscher in der Domstadt auf sieben heraufgesetzt. Neben Kaufmann Wi1li Mathias, Lehrer Alfred Klisch und Diplom-Landwirt Fritz Rödde stehen als junger Nachwuchs die Primaner Stadermann und Feldmann.
Taten allein spiegeln den Geist! Es Ist Sonntagsfrühe im Braunkohlenbergbau zu Borken. Vor einer schräggelagerten Bank glitschigen, grauen Melanientones aus dem Obermiozän ist ein Stoßtrupp der Fritzlarer Musealen gelandet. Fischschuppen, viele Jahrmillionen alt, haben ihn hergelockt. Blieben auch ihre Schuhe im Ton stecken, der Stoßtrupp kehrte lebendig zurück. Seine Beute brachte er mir nach Marburg. Mit ihr allein fertig zu werden, traute ich mir nicht zu. Wir baten Herrn Grahmann vom Geologischen Institut als Fachmann zur Hilfe. Da kam an den Tag, was verdient, jedermann gezeigt zu werden: Reste alter Ganoidfische, solche von Knochenfischen, von Schildkröten, von Krokodilen, Gehäuse von Schnecken, von Muschelschalen und viele korintenartig aussehende Pflanzensamen. Tiere und Pflanzen eines tropennahen Klimas! Suchen Sie auf der Karte New Orleans an der Mündung des Mississippi. Dort im Flusse lebt eine ganz nahe verwandte Tier- und Pflanzenwelt am 30. Grad nördl. Breite. Der verläuft in Afrika auf der Südseite des Atlasgebirges! - Einst in Borken! -
Dann fanden die Unentwegten am Schladenweg in Fritzlar den Steppenelefanten aus der vorletzten Eiszeit! Man holte mich an einem Sonntage, ihn zu bestimmen. Es regnete natürlich wieder. Lumpen lassen konnte ich mich bei den Männern nicht. Also rollten wir mitten in den Lehmmatsch hinein. Aber als ich um die Ecke zum Fundplatz biege, liegt vor meinem Schuh im Dreck der Unterkiefer einer Höhlenhyäne. Die fehlte zur Zeitberechnung: vor etwa 185000 Jahren! Penndorf und ich haben 1952 für das untere Werratal festgestellt: dort lag die mittlere Jahreswärme zur letzten Eiszeit um mindestens 10,3 Grad tiefer als heute. Das Heimatklima ist also vom subtropischen zum Tundrenklima der Eismeerküsten umgewandelt, ehe es zum heutigen Stande kam.
Das Hochzeitshaus zu Fritzlar zeigt alle diese und noch viele andere interessante Dinge.
Sind sie nicht vorbildlich, diese eiszeitkundlichen Laienforscher?
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