KÖNIGSSTADT FRITZLAR
Zu einem kulturgeschichtlichen Höhepunkt gestaltete sich die Gedenkfeier aus Anlaß der 1050-jährigen Wiederkehr der von der Reichsversammlung 919 in Fritzlar vorgenommenen Königswahl HEINRICH I. am 13. Mai 1969 im Rathaussaal in Fritzlar. Mehr als 300 geladene Gaste nahmen an der Veranstaltung teil.
Wir sind in der glücklichen Lage, den Vortrag von Herrn Staatsoberarchivrat Dr. DEMANDT Marburg/Lahn, Vorsitzender des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde, im Wortlaut veröffentlichen zu können, da er uns sein Manuskript zur Verfügung gestellt hat. Dr. DEMANDT ist z. Zt. der beste Kenner der Geschichte Fritzlars, da von ihm über unsere Heimatstadt bereits mehrere Bücher (u. a. Quellen zur Rechtsgeschichte der Stadt Fritzlar) veröffentlicht worden sind. Mit der Veröffentlichung des Vortrages wollen wir jedem Bürger die Möglichkeit geben, das vorhandene Wissen um unsere Heimatstadt zu erweitern und gleichzeitig erreichen, daß der Nachweis über die geschichtliche Bedeutung Fritzlars erhalten bleibt. Der Vortrag wird in mehreren Teilabschnitten gebracht.
Auch die Begrüßungsworte durch Herrn Bürgermeister GEISMAR werden im Wortlaut veröffentlicht, damit der Ablauf der Festveranstaltung sichtbar gemacht wird.
Sehr verehrte Damen, sehr verehrte Herren!
In einer Zeit größter Zerklüftung Deutschlands und blühender Kleinstaaterei zu Beginn des 10. Jahrhunderts gab es ein für damalige Verhältnisse und die sich anschließenden Jahrhunderte bedeutsames Ereignis. Die bis dahin gegeneinander feindlich gesonnenen Franken und Sachsen rafften sich zu einer politischen Großtat auf und wählten den Sachsenherzog Heinrich I. zum ersten deutschen König. Das geschah in Fritzlar, ganz nahe hier beim Rathaus und zwar im Jahre 919, also vor genau 1050 Jahren. Der Magistrat der Stadt Fritzlar hat gern und dankbar die Anregung des Geschichtsvereins und dessen Vorsitzenden, Amtsgerichtsrat Dr. Bönsch, des Verkehrs- und Verschönerungsvereins sowie der Fremdenverkehrskommission aufgenommen und aus oben geschildertem Anlaß zu einer Feier- oder Gedenkstunde eingeladen. Wir freuen uns über den guten Besuch und ich darf Sie alle recht herzlich im Namen des Magistrats begrüßen. Insonderheit darf ich mir erlauben, den Ersten Kreisbeigeordneten Herrn Scherp, den Herrn Stadtverordnetenvorsteher Schmitt und die Stadtverordneten, die Herren Kommandeure und Vertreter der Bundeswehr, den Instrumentalkreis Loof unter Leitung von Herrn Oberamtsrichter Loof, der sich in bei ihm schon gewohnter Selbstverständlichkeit dankenswert und ehrenamtlich in den Dienst unserer Sache gestellt hat und schließlich den Redner der heutigen Feierstunde, Herrn Oberarchivrat Dr. Demandt. Wir danken zwar allen an der Veranstaltung Beteiligten herzlich, Ihnen aber, Herr Dr. Demandt, ganz besonders, weil wir um Ihre profunde Sachkenntnis, aber auch um Ihr starkes Inanspruchgenommensein und daher sehr knapp bemessene Zeit wissen. Ich erteile Ihnen nun, Herr Dr. Demandt das Wort und bitte um Ihren Festvortrag.
Emil Geismar, Bürgermeister
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Die Stadt Fritzlar begeht in diesem Jahr an diesem Tag die 1050. Wiederkehr der Wahl des deutschen Königs Heinrich I. 919 in Fritzlar. Eine Feier der 1000jährigen Wiederkehr vor 50 Jahren im Jahre 1919 konnte damals aus zeitbedingten Umständen nicht in dem Rahmen stattfinden, der der Größe des Ereignisses entsprochen hätte. Und doch bitte ich Sie mir zu gestatten, ehe wir das Jahrtausend überschreiten, zunächst einmal den kleinen Schritt eines halben Jahrhunderts zurück zu tun, denn mit diesem Jahr 1919 und der Stadt Fritzlar verbindet mich eine Jugenderinnerung, die ich nie vergessen habe, und die noch heute klar und lebhaft vor mir steht. So darf ich sie wohl erwähnen, und das um so eher, als sie sich auf unser heutiges Thema, die Königsstätte Fritzlar bezieht, und zwar auf die Wahl König Heinrichs I,
Ich hatte meine Kindheit im Forsthaus des benachbarten Städtchens Niedenstein verlebt und stand nun Ende des Sommers 1919 im Begriff diese Stätte einer überaus glücklichen Kindheit zu verlassen, um in einem anderen weitentfernten Ort die Höhere Schule zu besuchen. Damals las und lernte man noch Gedichte des 19. Jhdts., und dabei war auch das manchen von Ihnen sicher noch bekannte Gedicht Vogls, das in der Vertonung Loewes ja weit bekannt geworden ist: „Herr Heinrich sitzt am Vogelherd recht froh und wohlgemut; aus tausend Perlen blinkt und blitzt der Morgenröte Glut“", Bei diesem Gedicht war mir, obwohl ich nun doch in dem Forsthaus groß geworden war, der Ausdruck „Vogelherd“ unbekannt. Ich fragte daher gelegentlich eines Revierganges am Niedensteiner Kopf den Förster nach der Bedeutung dieses Wortes. Ich sagte ihm, wo ich es gelesen habe, und er erklärte mir es. Zum Schluß aber wies er mich auf die vom Niedensteiner Kopf ja gut sichtbaren Türme des Fritzlarer Domes hin und sagte zu mir: „Und siehst Du, dort drüben in jener Stadt ist dieser Mann dann zum deutschen König gewählt worden, und das war vor 1000 Jahren!“
Dieser unmittelbare Kontakt mit der historichen Wirklichkeit, vermittelt durch ein Gedicht, das gar keinen örtlichen Bezug für mich zu haben schien, hat einen sehr tiefen, - ich darf fast sagen - unverlöschlichen Eindruck auf mich gemacht. Denn zum ersten Mal sah ich Geschichte lebendig werden in einer Landschaft, die mir bekannt war, und erfuhr instinktiv den Begriff einer historischen Größe wie eines Jahrtausends, der sich in mir mit der Vorstellung der Königswahl zu einem Erlebnis verband, das ich mein erstes geschichtliches nennen möchte, denn immer wieder, wenn ich die Fritzlarer Domtürme von den Niedensteiner Bergen aus sah, mußte ich an es denken.
Ich konnte damals noch nicht ahnen, welche Bedeutung dieses Ereignis nicht nur für mein eigenes Leben und meine eigenen wissenschaftlichen Arbeiten haben würde und noch viel weniger abschätzen, welche Bedeutung ihm in der deutschen Geschichte zukam. Davon will ich heute Abend zu Ihnen sprechen. Denn diese zweite deutsche Königswahl war ebenso bedeutungsschwer wie die erste, die nur wenige Jahre vorher nach der Trennung des west- und ostfränkischen Reiches 911 in Forchheim (südlich Bamberg) stattgefunden hatte. Sie hatte unseren hessischen Gaugrafen Konrad d. J. zum deutschen König erhoben und ihm damit eine außerordentlich schwierige Aufgabe zugeteilt. Sie bestand darin, dieses ostfränkische Reich nunmehr außerhalb des Rahmens des bisher fast ganz Westeuropa umfassenden karolingischen Reiches als eigenständiges ostfränkisches, deutsches Reich zu konsolidieren und zu stabilisieren. Auf diesen Konradiner Grafen und ersten deutschen König müssen wir hier kurz eingehen. Denn ohne ihn wäre Fritzlar zweifellos nicht in die Position als mittelalterliche deutsche Königsstätte eingetreten, die es jahrhundertelang innegehabt hat. Schon bei den Aufstiegskämpfen der Konradiner zu Anfang des 10. Jhdts, hatte Fritzlar eine ganz entscheidende Rolle gespielt. Sie war dadurch vorbereitet worden, daß das Fritzlarer Kloster wahrscheinlich im Jahre 775 in unmittelbaren Reichsbesitz übergegangen war, und zwar wahrscheinlich veranlaßt durch den fränkischen König Karl den Großen selbst, der damals zur Befriedung und Missionierung der Sachsen eine Umorganisation der großen Abteien Hessens, Fritzlar, Hersfeld und Fulda vorgenommen und hier allenthalben die Reichsposition erheblich verstärkt hatte. Karl dem Großen verdanken wir daher auch die erste Urkunde über die Fritzlarer Kirche, in der er ihr im Jahre 782 eine große Zuwendung für den Wiederaufbau der in den damaligen Sachsenkämpfen beschädigten Gründung zukommen ließ, wobei wir erstmals auch über die Organisation des Königsgutes in diesem Gebiet näher orientiert werden. Die Folge dieser staatspolitischen Maßnahmei war, daß Fritzlars kirchliche Position mehr und mehr abgebaut, es aber in gleicher Weise gewis-sermaßen Zug um Zug als politisches Zentrum aufgebaut wurde, während Hersfeld und Fulda in erster Linie eine Steigerung ihrer kirchlichen und religiösen Bedeutung erfuhren und die künftigen großen Missionszentren für die sächsisch-thüringischen Gebiete wurden.
Die Hauptträger der karolingischen Politik im Hessen des 9./10. Jhdts. waren die Konradiner, die als karolingische Grafen im Laufe des 9. Jhdts. langsam vom Lahngebiet aus nach Nordhessen vordrangen, dabei in erster Linie mehr und mehr in die Reichspositionen eintraten und daher selbstverständlich auch in Fritzlar nachweisbar sind. Das hing mit der neuen Rolle Fritzlars als politischer Mittelpunkt zusammen und ergab sich von daher geradezu zwangsläufig. Wie in der frühen merowingisch-karolingischen Zeit des 8, Jhdts. kein Punkt in Niederhessen die militärisch-politische Bedeutung der benachbarten Büraburg erreichte, so im 9. Jhdt. kein anderer Platz an politisch-militärischer Bedeutung Fritzlar. So haben auch die Konradiner hier nicht nur die üblichen Reichsrechte als Grafen wahrgenommen, sondern zweifellos auch einen eigenen Verwaltungsmittelpunkt errichtet, der schon im Ende des 8. Jhdts. die Anfänge einer konradinischen Residenz erkennen läßt. Ich habe diese Tatsache zwar noch in meinen „Fritzlarer Rechtsquellen“ bezweifelt und die Stelle der Chronik des Regino, die diese Nachricht sicher überliefert, daher abgewertet. Aber hier heißt es nun einmal ausdrücklich: „Cuonradus senior in Hasata loco, qui dicitur Frideslar, cum multa turpe peditum et equitum residebat.“ D. h. , daß Konrad d. Ä. in Hessen in dem Ort, der Fritzlar genannt wird, mit einer großen Schar von Fuß- und Reitertruppen Hof hielt (residebat). Selbst wenn man annimmt, daß Konrad sie hier nur aus militärischen Gründen vorübergehend zusammengezogen hätte, setzt das die Möglichkeit der Unterbringung und Bewirtung einer großen Truppenzahl und ihrer Führer voraus. Aber eine besondere Truppenkonzentration kann zu dem Zeitpunkt 905, zu dem es das Chronicon Reginonis berichtet, nicht stattgefunden haben; denn Konrad d. Ä. war gerade damals gezwungen, gegen zwei seiner stärksten Widersacher Truppen zu entsenden und zwar zum Schutz seiner lothringischen Besitzungen gegen die dortigen Grafen über den Rhein und zur Abwehr eines gefürchteten Angriffs der mit den Konradinern um den ersten Rang im Reich heftig konkurrierenden Babenberger in die Wetterau.
Diese Aufsplitterung der konradinischen Macht hat damals der Babenberger Adalbert benutzt, um Konrad d. Ä. im Februar 906 in Fritzlar zu überfallen. Er ist also außerordentlich weit aus seinem main-fränkischen Raum nach Nordhessen in das hessische Kerngebiet vorgestoßen, um hier seinen Hauptgegner Konrad d. A. zu treffen. Es ist kaum ein Zweifel daran möglich, daß sich dieser militärisch außerordentlich gewagte Vorstoß nur auf das Zentrum der konradinischen Macht gerichtet haben kann, das sich damals demnach in Niederhessen, Fritzlar, befand. Daß Konrad d. Ä, selbst im Orte weilte, sich zum Kampf stellte und hierbei den Tod fand, kann nur bedeuten, daß es sich um eine Entscheidungsschlacht handelte, die den Kern der konradinischen Stellung treffen und vernichten sollte und von Konrad d. Ä. daher bis zum Tod in der Schlacht verteidigt wurde. Daß Adalbert gleichwohl nicht zum Ziel kam, obwohl Konrad d. Ä. gefallen war, lag darin begründet, daß die Großen des Reiches, geführt von König Ludwig dem Kind und insbesondere Erzbischof Hatto von Mainz, - wie schon früher - nun abermals für die Konradiner eintraten, den Babenberger Adalbert auf diesen Überfall hin endgültig niederwarfen und ihn im Sept. 906 enthaupten ließen.
So blieb also trotz des Babenberger Sieges Fritzlar in konradinischer Hand und mit ihm nicht nur der Hessengau, sondern das gesamt heutige Hessen, das die konradinische Macht gewissermaßen wie ein Brückenbogen auf seinen Pfeilern in Lahngebiet: Limburg, Weilburg, Wetzlar, und seinen Pfeilern in Niederhessen: Fritzlar, Laar und Battenberg überspannte.
So war nach dem Zerfall des karolingischen Königtums und aufgrund des von den Konradinern aufgebauten Machtbereich im hessischen Raum dieses Geschlecht an die erste Stelle des ostfränkischen Stammes getreten, verfügte über einen ausgedehnten Herrschaftsbereich durch Vereinigung zahlreicher Grafschaften in seiner Hand und besaß zugleich die engsten und besten Beziehungen zu den letzten karolingischen Königen Arnulf und Ludwig und nicht minder zu den maßgebenden Großen des Reiches, vor allen Dingen Erzbischof Hatto von Mainz. So kam es zur Wahl Konrads d. I. im Jahre 911 zum deutschen König.
Es war klar, daß damit auch Fritzlar als der zentrale konradinische Punkt in seinem nördlichsten Machtbereich eine ganz erhebliche Aufwertung erfahren mußte. Wir können daher schon für die Zeit Konrads I, also für die Jahre 911 bis 919 mit Sicherheit, auch wenn es nicht urkundlich bezeugt ist, damit rechnen. daß sich hier ein politischer Mittelpunkt entwickelt hat und entwickeln mußte, bedingt eben durch die Tatsache, daß Fritzlar als ein entscheidender Stützpunkt der konradinischen Grafen sicher ausgewiesen ist und es daher gänzlich unbegründet wäre, ihm die gleiche Rolle nun nicht auch unter dem ersten Konradiner, der deutscher König wurde, weiter zuzuweisen.
Nun haben wir uns allerdings die Residenz eines deutschen Königs des früheren Mittelalters nicht als einen von ihm ständig bewohnten Platz vorzustellen; denn Sie wissen, daß die deutschen Könige fast ständig unterwegs waren, um durch ihre persönliche Gegenwart und Repräsentanz das Königtum in den Reichsteilen zur Anschauung und Geltung zu bringen. Das gilt natürlich auch für Konrad I.; aber für ihn doch noch nicht in dem Maße wie für die späteren deutschen Könige, Denn das Königtum Konrads war noch nicht so stark ausgebildet, daß es alle Teile des späteren deutschen Reiches erfaßt hätte. Sein Einfluß auf Sachsen war außerordentlich gering, da hier das mächtige Geschlecht der Ludolfinger eine kaum eingeschränkte Herrschaft ausübte. Und noch unabhängiger zeigte sich das große Herzogtum Bayern im Süden, auf das Konrad I noch weniger Einfluß gewann. So war Konrad I. eigentlich nur in Franken und in Schwaben als König anerkannt und infolgedessen so schwach, daß er es nicht einmal vermochte, die damals das Reich in immer neuen Überfällen und Beutezügen verheerenden Ungarn erfolgreich abzuwehren. Wir dürfen unter diesen Umständen davon ausgehen, daß Konrad I. vor allen seine Stütze in seinem eigenen fränkischen Herrschaftsbereich, und hier vor allem in Hessen, gesucht hat, und daß auch aus diesem Grunde Fritzlar zwangsläufig eine Aufwertung als bevorzugter königlicher Aufenthaltsort erfahren mußte.
Dieses Halten der Stellung Konrads im nördlichen Hessen war aber auch aus einem anderen Grunde zwingend, denn sein stärkster Widersacher unter den Herzögen des Reiches und damit sein gefährlichster Gegner war Herzog Heinrich von Sachsen. Mit ihm hatte Hatto von Mainz, der große Förderer der Konradiner, wegen thüringischer Ansprüche in Konflikt geraten und hatte naturgemäß dabei die Unterstützung des Königs gefunden.
Der Streit entwickelte sich auch über den Tod Hattos hinaus weiter und führte 915 zu einem Angriff von Konrads Bruder Eberhard auf Sachsen. Eberhard wurde jedoch von den Sachsen bei der Eresburg, dem heutigen Obermarsberg, geschlagen, die nun ihrerseits zum Angriff übergingen und nach Hessen eindrangen. Der König konnte sie jedoch zum Rückzug zwingen und seinerseits einen Angriff bis zur Pfalz Grone bei Göttingen vortragen, wo es dann zu Verhandlungen zwischen den beiden Parteien kam. Sie führten insofern zu einem Ausgleich, als Heinrich von Sachsen den König in Zukunft nicht mehr unmittelbar bedroht hat und sich der König dementsprechend gegenüber dem sächsischen Herzogtum zurückhaltend verhielt. So war das gesamte nordhessisch-sächsische Grenzgebiet nicht nur das herkommensmäßig wichtigste, sondern auch das Empfindlichste politische Zentrum der Herrschaft Konrads I., und demgemäß wuchs auch dadurch die Bedeutung der königlichen Position Fritzlar in diesem Gebiet weiter an. Es konnte daher nicht ausbleiben, daß sich Fritzlars Stellung geradezu zu einem Konzentrationspunkt des fränkischen Königtums verdichtete, es selbst damit als Reichsgut betont hervortrat und gewissermaßen die signifikante Verkörperung fränkischer Erde war, die seine Position nun auch in rechtlicher Hinsicht bestimmen und herausheben mußte.
Wenn man diese Überlegungen angestellt hat, erklärt es sich nunmehr auch, wieso gerade Fritzlar und nicht etwa die sehr viel bedeutenderen geistlichen Stätten Fulda oder Hersfeld zum Wahlort des neuen deutschen Königs bestimmt wurden, als Konrad nach nur achtjähriger Herrschaft 919 starb. Der Tod dieses ersten deutschen Königs ist mit einer Handlung verknüpft, die seit jeher in der deutschen Geschichte als einzigartig gegolten hat - nämlich die Übergabe der Krone an seinen mächtigsten Gegner, Herzog Heinrich von Sachsen. Was diese Handlung bedeutet, erhellt daraus, daß Konrad d. J. der Erste gewesen war, der nach einem langwierigen, generationenlangen Aufstieg seines Hauses in unserem hessisch-mittelfränkischen Bereich endlich die Würde eines deutschen Königs erreicht und sich dieser Würde in keiner Weise unangemessen erzeigt hatte, wie ihm alle Geschichtschreiber bestätigen, obwohl er sich nur in Teilen des Reiches hatte durchsetzen können. Es kam hinzu, daß er in seinem Bruder Eberhard, dem nunmehr eigenen Herzog der Franken, einen nächsten Verwandten hatte, der nach seinem politischen Ehrgeiz und wohl auch nach seiner politischen Befähigung durchaus in der Lage gewesen wäre, die Krone zu übernehmen. Daß Konrad trotzdem sein Haus und seinen Bruder bestimmen konnte, nicht um die Krone zu kämpfen, sondern sie demjenigen anzubieten, der am ersten in der Lage schien, das Reich weiter zu konsolidieren und die äußeren Feinde, insbesondere die verheerenden Ungarnüberzüge, abzuwehren, stellte seiner Einsicht, seinem Charakter, ja seiner menschlichen Größe ein unwidersprechliches Zeugnis aus. Er war sich bewußt, daß die Krone im konradinischen Hause zu schwach fundiert war, um sich gegen die widerstrebenden inneren und äußeren Gewalten zu halten. Und er war gleichzeitig weitsichtig genug, um zu erkennen, daß sie auf ein stärkeres Fundament gelegt werden müßte, selbst wenn dessen Träger der unmittelbare Gegner des Königs im Felde gewesen war, Herzog Heinrich von Sachsen. So traten die Fürsten der beiden deutschen Hauptstämme, der Franken und der Sachsen, im Jahre 919 auf fränkischer Erde in Fritzlar zusammen, um hier den von Konrad I. vorgeschlagenen Herzog Heinrich von Sachsen zum neuen deutschen König zu wählen. Es wird berichtet, daß Botschaft und Krone dem Herzog von Konrads Bruder Eberhard angetragen und übermittelt worden sei.
Fortsetzung folgt in der nächsten Ausgabe des Wochenspiegels
Damit war zwar die Bedeutung, die Hessen in der Reichsgeschichte für kurze Zeit in so hervorragendem Maße eingenommen hatte, wieder vor-über, nicht aber die Nachwirkung, die sich damit verknüpfte. Für die Konradiner, die nunmehr offiziell mit Eberhard das fränkische Herzogtum innehatten, blieb Hessen auch weiterhin der entscheidende Besitz, mit dem sie sich nicht nur politisch sondern auch persönlich verbunden fühlten. Ein untrügliches Zeugnis dafür scheint mir darin zu liegen, daß sich das erste deutsche Königspaar in Hessen bestatten ließ: Konrad in Fulda und seine Frau Kunigunde später in Lorsch. Vor allem aber gilt auch für Herzog Eberhard, daß das niederhessische Gebiet mit seinem Kernpunkt Fritzlar weiterhin das wichtigste und wesentlichste seiner Herrschaft blieb: denn hier war nach wie vor die breite Kontaktzone zwischen dem Stammesgebiet der Sachsen, die nunmehr dasjenige Königshaus stellten, das durch König Heinrich I., und Otto den Großen das deutsche Reich in wenigen Jahrzehnten zu seiner mittelalterlichen Größe aufgebaut hat, und dem Herzogtum Franken das bis dahin der staatstragende Teil gewesen war.
Herzog Eberhard, dem der Verzicht auf die Krone gewiß nicht leicht gefallen ist, und König Heinrich haben sich ebenso respektiert, wie das umgekehrt vorher König Konrad mit Herzog Heinrich getan hatte. Auch der neue deutsche König Heinrich I. hat zweifellos das ihm gebrachte Opfer in aller Form anerkannt und den fränkisch-hessischen Bereich soweit wie möglich geschont und der Herrschaft Eberhards überlassen. Wir wissen nur von ganz wenigen Aufenthalten Heinrichs in Hessen. Es scheint mir daher gewiß, daß Fritzlar auch in dieser Zeit seine Stellung gehalten hat, wenn nun auch nicht mehr als königlicher Aufenthaltsort, so doch als Mittelpunkt des fränkisch-konradinischen Herzogtums. Denn wie wir später noch erörtern werden, ist auch der Untergang der Konradiner im nördlichen Hessen wiederum mit unserem niederhessisch-sächsischen Grenzgebiet aufs engste verknüpft.
Meine Damen und Herren, nachdem wir nun, wie ich hoffe, eine hinreichende Vorstellung von der Bedeutung des Ortes Fritzlar in der frühen deutschen Reichsgeschichte gewonnen haben, sind jetzt einige topographische Überlegungen notwendig. Denn wo befanden sich hier die Anlage der Residenz, das königliche bzw. das herzogliche Haus, die Wirtschaftshöfe, die Stallungen und Speicher, die Häuser für das für einen solchen herrschaftlichen Mittelpunkt nun einmal unumgängliche Gesinde, für die Dienerschaft und für den Adel, der in mehr oder minder großer Anzahl hier wenigstens vorübergehend anwesend war. Es kann sich also dabei nicht um einen ganz kleinen Bezirk handeln, der hier das bauliche Zentrum gebildet haben muß. Dafür aber kommen nach meiner Kenntnis doch wohl nur 3 Geländeteile im heutigen Ortsbereich in Frage.
Am naheliegendsten scheint es, uns diese Gebäude der Pfalz, die ja zum Jahre 1002 ausdrücklich bezeugt ist, in der Nähe des Klosters vorzustellen. Denn wir dürfen für diese Zeit nicht von dem heutigen Bilde des Domes und seiner Umgebung ausgehen: denn noch stand damals diese großartige Kirche nicht, sondern lediglich ein weitaus bescheidener Vorläufer. Und ebenso wenig war diese Kirche von einem Kranz von Kurien, als Wohnungen der Kanoniker umgeben. Denn damals war Fritzlar ja noch ein Benediktinerkloster mit entsprechender Klausur in unmittelbarer Verbindung mit der Kirche, so wie es sich heute noch im Geviert der Anlage um den Kreuzgang spiegelt. Das ganze Gelände des heutigen Domplatzes und der unmittelbar anschließenden bebauten Flächen würde demnach theoretisch für die Anlage der herrschaftlichen Gebäude zur Verfügung gestanden haben.
Für diese Überlegung gibt es zwei Argumente von erheblichem Gewicht. Das eine ist die Tatsache, daß in dem Bering um die heutige Kirche auch im hohen Mittelalter nach der Umwandlung des Klosters in ein Stift nicht nur geistliche, sondern auch weltliche Gebäude gestanden haben. Als wichtigstes und zudem bis heute erhaltenes Gebäude ist dasjenige zu nennen, in dem wir uns heute befinden, das jetzige Rathaus, das frühere Vogteihaus, das mindestens bis ins 11. Jhdt. zurückreicht. Dazu kommt eine weitere Nachricht, daß in der Front dieser Gebäudereihe nach Westen eine Johannis-Kapelle gelegen hat, die man aufgrund ihres Patroziniums als Pfalzkapelle anzunehmen geneigt ist, da Johannes der Täufer auch sonst als, Patron in Pfalzkapellen erscheint.
Jedoch reichen nach meiner Meinung diese Argumente - welches Gewicht man ihnen auch beimessen mag - nicht aus, um zwei andere Orte im heutigen Stadtbereich als Träger der frühesten Bebauung völlig auszuschließen. Das ist einmal jener Platz der für uns überlieferungsgeschichtlich so rätselhaften ältesten Fritzlarer Burganlage, der sog, „Alten Burg“ vor dem Haddamar-Tor, Da sie schon im 13. Jhdt. zerstört worden ist, ist sie in ihrer Bedeutung bisher niemals richtig erklärt worden. Diese Frage steht nach wie vor offen. Vielleicht darf ich aber in diesem Zusammenhang eine Beobachtung mitteilen, die vielleicht doch hierher gehört. Bis zu dem ungefähren Zeitpunkt der Zerstörung dieser Burg vor dem Haddamartor erscheinen in den Urkunden der Mainzer Erzbischöfe häufiger die beiden Datierungsformen: Actum et datum Fritzlarie und: Actum et datum apud Fritzlariam, nebeneinander. Es wird also ganz klar unterschieden zwischen: in Fritzlar (in Fritzlarie) und bei Fritzlar apud Fritzlariam). Wo lag dieses bei? In der „Alten Burg“, die ja vor der Stadt stand? Ich halte das nicht für ausgeschlossen, obwohl dann sicherlich auch einmal Datierungsformen wie: in castro Friteslarensi, in castro ante oppidum Fritzlar usw. vorkommen würden. Sie fehlen jedoch. Gleichwohl halte ich es unter den obwaltenden Umständen für erwägen;wert, dieser „Alten Burg“ eine frühe Rolle zuzuweisen, wobei ich allerdings nicht wage, so weit zu gehen, sie bis ins 10, oder 11. Jhdt. zurückzudatieren. Es wäre jedoch von erheblichem Wert für die Erforschung der Frühgeschichte der Stadt Fritzlar selbst, wenn es gelänge, dieses Gebiet einmal durch Grabungen zu erschließen, um wenigstens eine Vorstellung von Grundriß und vielleicht auch Aufbau dieser Anlage zu erhalten,und vielleicht durch glückliche Scherben- oder sonstige Funde das Alter dieser Anlage zu ermitteln.
Noch wichtiger erscheint mir ein dritter Punkt, auf den ich heute Abend ganz ausdrücklich Ihre Aufmerksamkeit lenken möchte. Ich meine das Gebiet der Fraumünsterkirche. Seitdem wir wissen, daß es sich um ein karolingisches Bauwerk handelt, ist an Alter und Bedeutung dieses Platzes nicht mehr zu zweifeln. Damit ist Fritzlar nicht nur in den ganz kleinen Kreis hessischer Orte mit karolingischen Bauten - wie Lorsch, Höchst, Fulda - eingetreten. Wir wollen uns dabei zugleich klar machen, daß diese Kirche das einzige Bauwerk der Stadt ist, das die konradinischen Grafen und den ersten deutschen König Konrad I. gesehen hat, das Zeuge der Königswahl Heinrichs I. durch die sächsischen und fränkischen Großen und der Reichsversammlungen König Ottos I. in Fritzlar war und dem auch alle anderen deutschen Könige begegnet sind, die bis zum letzten deutschen Königsaufenthalt im Jahre 1145 hier anwesend waren. Schon deshalb ist dieses Bauwerk ehrwürdig. Und dazu steckt es geschichtlich und kultisch voller Rätsel. Für wen war diese für karolingische Verhältnisse nicht gerade kleine Kirche gebaut worden? und warum gerade hier, wo das bonifatianische Kloster mit seiner Kirche in unmittelbarer Nähe lag? War sie als ecclasia popularis für die umliegende Bevölkerung gedacht, aber wie ist es dann zu erklären, daß sie im Mittelalter die Pfarrkirche nur eines benachbarten Dorfes, von Obermöllrich, war? Nun ist allerdings Möllrich nach Name und urkundlicher Überlieferung ein Urort der Fritzlarer Landschaft und die Kirche zudem dadurch ausgezeichnet, daß sie bis ins 13. Jhdt. unter dem Patronat der Grafen von Ziegenhain stand. Die Ziegenhainer Grafen gehören zum dynastischen Uradel des Edertales, den wir heute in seinen Anfängen gerade auch in dieser Familie bis ins 9. Jhdt., also ebenfalls in die karolingische Zeit, zurückführen. Bei der starken Stellung des Reiches, dann des Erzbistums Mainz in Fritzlar, ist schwer vorstellbar, daß es sich hier um ein späteres Patronat handelt, denn seit dem 11. Jhdt. verdichtete sich die Herrschaft der Ziegenhainer Grafen an ganz anderen Stellen Hessens. Jedoch sind diese ebenfalls merkwürdigen Tatsachen ebensowenig wie die eben formulierten anderen Fragen bisher ausreichend und sicher zu beantworten, obwohl sie alle ganz zweifellos der Fraumünsterkirche eine singuläre Bedeutung verleihen. Sie wird dadurch gesteigert, daß vor dem Tor des kleinen Fraumünsterkirchhofs der lindenbeschattete Platz eines adligen Vogtgerichts lag, das für die Inhaber einer Anzahl Hufen in den benachbarten Dörfern zuständig war. Dabei wird uns noch im 19. Jhdt. nicht nur der uralte Gerichtsbaum der Linde, sondern auch der noch heute vorhandene Gerichtsstein bezeugt mit Vertiefungen, in die angeblich die Fahnen der Bauernschaften, die die Hüfner vertraten, während des Gerichts eingesteckt waren, - eine sehr bildhafte, aber sicher fehlerhafte Deutung, denn sie ist rechtsgeschichtlich nicht möglich und Kultsteine mit näpfchen- oder lochartigen Vertiefungen kennen wir hinreichend.
Deutet das alles auf eine sehr alte Tradition, so gibt es nicht minder wichtige Zeugnisse für die fortdauernde Bedeutung dieses Platzes bis zum Ende des Mittelalters. Die merkwürdigste Nachricht gleich zu Anfang, nämlich die Erwähnung eines Landgerichts in Fritzlar, das nach einem Schreiben des Erfurter Rates an die Stadt Straßburg vom 3. Mai 1398 die am 2. September 1397 von König Wenzel über Erfurt verhängte Acht publiziert haben soll. Von der Existenz eines solchen Gerichtes in Fritzlar findet sich sonst keine Spur, und placieren kann man es erst recht nicht, denn in Fritzlar selbst gibt es bei der uns genau bekannten Gerichtsverfassung keine Möglichkeit dafür. Dürfen wir auch es mit Fraumünster in Verbindung bringen? Ich weiß keinen anderen Lösungsvorschlag zu machen und werde darin bestärkt, daß sich im 14. und 15. Jhdt. noch ganz andere Ereignisse landesgeschichtlicher Bedeutung hier abgespielt haben. So brachte einer der höchsten erzbischöflichen Beamten, der rheingauische Vitztum, im Auftrage des Mainzer Erzbischofs im Jahre 1377 hier bei Fraumünster nach angestrengten politisch-diplomatischen und rechtlichen Verhandlungen eine Sühne zustande, die ein schweres Zerwürfnis der Stadt Fritzlar und einer hessischen Adelsgruppe beilegte - oder die noch schwerer wiegende Nachricht, daß im Jahre 1472 Landgraf Hermann von Hessen in den Kämpfen zwischen Nieder- und Oberhessen einen Landtag der Ritterschaft und Städte beider Hessen in die Fraumünsterkirche nach Fritzlar berief.
Es ist bisher völlig dunkei, wieso dieser Platz zu einer solchen politischen und rechtlichen Bedeutung gelangen konnte, die so lange anhielt. Wir gehen dadurch angesichts dessen sicher nicht fehl in der Annahme, wenn wir sie auf eine sehr weit zurückreichende Tradition begründen, die möglicherweise bis in die karolingische Zeit zurückreicht, ja, wenn wir kultischen Erwägungen Raum geben, noch älter sein kann. Auch dieser Platz bedarf also einer beständigen Überwachung und möglichst eingehender Bodenuntersuchungen, um festzustellen, ob hier auch noch sonstige Reste karolingischer oder hochmittelalterlicher Bebauung vorliegen, um die topographischen Rätsel zu lösen, die für uns heute noch immer mit der Bedeutung der königlichen Stadt Fritzlar verbunden sind. Denn wie Sie wissen, ist das Stadtbild, wie es sich uns heute bietet, in seiner regelmäßigen und übersichtlichen Anlage erst ein Ergebnis des Wiederaufbaus im 12. Jhdt. nach der letzten großen Zerstörung der Stadt in den Sachsenkriegen Kaiser Heinrichs IV.
Kehren wir nach dieser topographischen Erörterung nunmehr wieder zur geschichtlichen Rolle Fritzlars als königliche Pfalz unter den sächsischen Königen und Kaisern seit Otto dem Großen zurück. Sie bietet naturgemäß nunmehr ein wesentlich anderes Bild als unter den konradinischen Grafen und Konrad I. Das gilt zunächst für die Epoche Herzog Eberhards von Franken, dem Bruder König Konrads I., dessen enge Verbindung mit ihm und dem niederhessischen Gebiet ich schon früher umrissen hatte. Solange König Heinrich I. regierte, blieb sein Verhältnis zum sächsischen Königshaus und damit dasjenige zwischen den mächtigen Stämmen der Franken und Sachsen im wesentlichen ungestört. Infolgedessen nahm Eberhard auch 936 bei der Erhebung von König Heinrichs I. Sohn Otto I.. zum deutschen König in Aachen an den Feierlichkeiten und den symbolischen Dienstleistungen, die die deutschen Herzöge dabei dem neuen König erwiesen, vollen Anteil und fungierte beim Krönungsmahl als Truchseß. Das hinderte jedoch nicht, daß es bald zu Zusammenstößen zwischen dem neuen König und Herzog Eberhard kam, was im wesentlichen darin begründet war, daß mit Otto dem Großen ein neuer und ungleich machtwilligerer König als es Heinrich I. gewesen war, die Herrschaft antrat. Angesichts dieser neuen Situation benutzte Eberhard die Auseinandersetzungen im königlichen Hause zwischen Otto und seinen Brüdern, um seinen Machtbereich im nördlichsten Hessen mit seiner nach Sachsen hin mehr oder minder offenen Grenze erneut auszudehnen und zu befestigen. Er geriet jedoch darüber mit den sächsischen Angrenzern in Konflikt, wurde schließlich vom König unterworfen und schwer bestraft. Damit war die Feindschaft unüberbrückbar geworden. Und so benutzte Eberhard erneut die innenpolitische Schwierigkeiten Ottos, um sich auf die Seite der Feinde des Königs zu schlagen, während Otto alles daran setzte, sich dieses so dicht aufgesessenen gefährlichen Feindes endgültig zu entledigen. So kam Eberhard diesmal nicht mehr davon. Er fiel 939 in einem Gefecht bei Andernach durch die Hand seiner eigenen Verwandten Udo und Konrad, die dem König ergeben geblieben waren. Dadurch rettete das konradinische Haus zwar einen großen Teil seiner Besitzungen und Rechte in Hessen, konnte aber nicht verhindern, daß Otto der Große mehr und mehr dazu überging, Reichsgut in bisher konradinischem Besitz in seiner eigene unmittelbare königliche Verfügungsgewalt einzubeziehen. Ob schon damals 939 Fritzlar in den unmittelbaren Besitz des Königs zurückgekehrt ist, wissen wir zwar nicht, doch ist ein Aufenthalt des Königs im Januar 943 urkundlich bezeugt.
(Fortsetzung folgt in der nächsten Ausgabe des Wochenspiegel
3. Teil des F E S T V O R T R A G E S von Staatsoberarchivrat Dr. DEMANDT Marburg/Lahn, Vorsitzender des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde am 13. Mai 1969 im Rathaussaal in Fritzlar aus Anlaß der G-denkfeier zur 1050-jährigen Wiederkehr der v. der Reichsversammlung 919 in Fritzlar vorgenommenen KÖNIGSWAHL HEINRICH I.
Für die Grafschaft Hessen fand Otto der Große dagegen vorerst den Weg, sie seinem treuen Parteigänger Herzog Hermann I. von Schwaben und damit ebenfalls einem Konradiner, der schwäbischer Herzog geworden war, zu übertragen. Hermanns einzige Tochter Ida heiratete zudem, um dieses Band noch fester zu knüpfen, das Königs ältesten Sohn Liudolf. Diese geschickte Politik in der hessischen Frage bewährte sich doppelt. Sie schonte die Interessen der dem König ergeben gebliebenen Konradiner und belohnte siefür ihren Beistand, sorgte aber zugleich dafür, daß nach dem Tode Herzog Hermanns von Schwaben im Jahre 949 mit dem schwäbischen Herzogtum auch die Grafschaft Hessen an Ottos Sohn Liudolf als Mann von Herzog Hermanns Tochter Ida gleichsam als Mitgift überging. Jedoch hat der König diesen Wechsel wohl abermals benutzt, um weitere Rechte des Reiches und der königlichen Hauses im Bereich der konradinischen Grafschaft in seine eigene Verfügungsgewalt zurückzunehmen und so seine Stellung auch in diesem Gebiet immer stärker zu festigen. Die alten Vororte Weilburg, Amöneburg, Hersfeld und endgültig auch Fritzlar mit ihren ausgedehnten Reichsgutkomplexen, die damit wieder aus konradinischer in die königliche Hand zurückgekehrt waren, blieben auch bei den kommenden Auseinandersetzungen fest im Besitz des Königs. Denn die so erfolgversprechend eingeleitete Familienpolitik des Königs scheiterte. Liudolf nämlich, nunmehr als Sohn Ottos des Großen Inhaber der Grafschaft Hessen, fühlte sich zweifelsohne gerade durch die Aussonderung der genannten wichtigsten hessischen Reichsgutkomplexen wie Amöneburg, Hersfeld und Fritzlar aus seinem Machtbereich benachteiligt und empörte sich gegen den Vater. Als sich auch Konrad der Rote, Herzog von Lothringen und Schwiegersohn des Königs, am Aufstand beteiligte, nahm die Empörung für Otto den Großen bedrohliche Formen an. Aber auch dieses Mal behauptete sich der König. Der 953 nach Fritzlar einberufene Reichstag sprach beiden Empörern ihr Herzogtum ab. In schweren Kämpfen setzte sich König Otto durch. Liudolf mußte sich beugen. Er versprach, auf dem im Folgejahr 954 abermals in Fritzlar anberaumten Reichstag sich zu verantworten, unterwarf sich aber schon vorher bei Berka dem Vater. Das völlige Ende des Aufstandes sah der Reichstag zu Arnstadt am Ende des Jahres 954.
Seitdem war Fritzlar wieder völlig und unangefochten in der Hand des Königs. Welche Stellung er ihm zubilligte, ergibt sich daraus, daß er zweimal einen Reichstag hierher einberief, um wichtigste innenpolitische Entscheidungen durchzusetzen, Gewissermaßen die Vorpostenstellung, die Fritzlar vom sächsischen Stammesgebiet gegenüber dem Fränkischen und damit den übrigen Reichsteilen bildete, wird hieraus klar ersichtlich. Wie schon vorher, so ist Otto der Große auch nach diesen entscheidenden Ereignissen wiederholt in Fritzlar gewesen. So hatte er sich etwa im Jahre 958 längere Zeit am hiesigen Orte aufgehalten - ein ganz sicheres Zeichen dafür, daß damals die Pfalz, die Wirtschaftseinrichtungen und überhaupt das ganze königliche Wohngebiet intakt waren und die Kämpfe anscheinend ohne große Beeinträchtigung überstanden hatten. Auch sein Sohn Otto II. läßt sich im Juni 973 urkundlich nachweisen. Während wir für Otto III. keine unmittelbar auf Fritzlar bezüglichen Nachrichten haben, liegen sie für Kaiser Konrad II. wieder vor, den wir 1028 und 1032 in Fritzlar antreffen. Wir müssen bei diesen urkundlichen Erwähnungen natürlich immer im Auge behalten, daß sie über die Häufigkeit der Besuche der Fritzlarer Pfalz durch die sächsischen Könige nur eine sehr bedingte und beschränkte Aussage machen; denn selbstverständlich hat der König nicht jedesmal an jedem Ort, wo er sich aufhielt, geurkundet. Entscheidend ist vielmehr die landschaftspolitische Situation, wie ich sie eben für den Ort umschrieben habe und, darin gewissermaßen einbegriffen, seine Verkehrslage gewesen, die den König bewog oder zwang, an einem bestimmten Platz Aufenthalt zu nehmen. Die hochmittelalterliche Verkehrslage Fritzlars und Gesamthessens habe ich an anderer Stelle eingehend dargestellt. Sie war hervorragend, gerade zur Zeit der sächsischen Könige, die die zurückgewonnenen Reichsgutorte nicht nur als Stützpunkte ihrer Macht, sondern dank ihrer verkehrsgünstigen Lage auf den Wegen zu dem Südwesten des Reiches immer wieder aufzusuchen gezwungen waren.
Und was für die sächsischen Könige galt, das galt nicht minder für das ihnen nachfolgende Königshaus der Salier, das im Oberrheingebiet um Worms und Speyer seinen Schwerpunkt hatte. Für sie waren die hessischen Reichsgutorte und Pfalzen - und damit auch wiederum Fritzlar - wichtige Etappenstationen auf ihren Wegen nach den östlichen und nördlichen Gebieten, insbesondere nach Sachsen. So ist es verständlich, daß wir auch sie oft urkundlich in der hiesigen Pfalz nachweisen können. Mitte Juli 1040 wurde in Fritzlar in Anwesenheit König Heinrichs III. und eines großen Gefolges der Vergleich zwischen Erzbischof Bardo von Mainz und der Abtissin Hildegard des Reichsstiftes Kaufungen über den Hessen-Zehnten geschlossen. Dieser innenpolitisch wichtige Vorgang, zu dem sich in Fritzlar nicht nur der König, sondern auch die ersten Fürsten des Reiches mit ihrem Gefolge einfanden, beweist abermals zur Genüge, wie wohlunterhalten und aufnahmefähig wir uns die Fritzlarer königliche Anlage vorstellen müssen. So ist es begreiflich, daß König Heinrich III. kurz darauf im Dezember 1045 und im August 1046 abermals urkundlich in Fritzlar nachgewiesen ist, wobei wir wiederum uns klar machen müssen, daß diese urkundlichen Belege naturgemäß nur einen Bruchteil der wirklichen Aufenthalte nachweisen können.
Was für Heinrich III. gegolten hatte, traf in noch erhöhtem Maße für seinen großen Sohn Heinrich IV. zu, den Fritzlar nicht nur in seinen gesunden und guten, sondern auch in den kranken und schweren Tagen oft wochenlang erlebt hat. Mit ihm allerdings vollzog sich die entscheidende Wende in der Geschichte Fritzlars, die auch seine Reichsposition entscheidend verändert hat. Denn Heinrich IV. ist es nach unserer heutigen Vorstellung gewesen, der den Ort Fritzlar endgültig in den Besitz des Mainzer Erzstiftes gebracht hat. Das Fritzlarer Gebiet spielte, wie schon in den Auseinandersetzungen der Konradiner mit den sächsichen Herzögen, auch bei den Kämpfen Kaiser Heinrichs IV. mit den unbotmäßigen Sachsen eine ganz entscheidende Rolle. Wieder trat diese wichtige, seit Karl dem Großen bestehende politische Bedeutung unseres Platzes im Spannungsfeld der fränkisch-sächsischen Interessen in eindeutiger Weise hervor. 1078 und 1079 stand Fritzlar geradezu im Mittelpunkt der Kämpfe und Verhandlungen zwischen Kaiser Heinrich IV. und seinen sächsichen Gegnern. Im April 1078, im Februar und Mai 1079 ist der Kaiser in Fritzlar gewesen und ist auch später wiederholt hierher zurückgekehrt, obwohl er unter dem Druck der für ihn zum Teil äußerst bedrohlichen Situation sich gezwungen gesehen hatte, dem Mainzer Erzbischof als dem mächtigsten Fürsten des Reiches Fritzlar als Reichsbesitz zu opfern, um sich dessen Unterstützung soweit wie möglich zu sichern. So ist der Ort nach Ausweis der Münzprägung spätestens unter Erzbischof Siegfried, der von 1060 bis 1084 Mainzer Erzbischof war, in mainzische Hand gelangt. Diese Übergabe bedeutete zweifellos für die Stadt manche Vorteile, da sie nunmehr einerseits aus der Front der immer wieder aufflammenden innerdeutschen Kämpfe zwischen den sächsischen und den übrigen Reichsteilen herausgenommen und dem unmittelbaren Schutz des Reichserzkanzlers, der nicht nur der mächtigste Kirchenfürst, sondern auch der erste Reichsfürst war, unterstellt wurde. Für die deutschen Könige war damit allerdings ihr Kontakt zum Ort unterbrochen, und dem entspricht, daß der letzte nachweisbare Aufenthalt eines deutschen Königs, nämlich Konrads III., im August 1145 mit Erzbischof Heinrich von Mainz zusammen erfolgte, der König also wohl Gast des Erzbischofs gewesen ist.
Wir können somit die Geschichte Fritzlars als karolingischer Reichsbesitz, als konradinischer Herrschaftsmittelpunkt und als sächsische und salische Pfalz und Königsstätte durch fast 300 Jahre verfolgen und ihre dadurch bedingte, durch zahlreiche Zeugnisse erhärtete politische Bedeutung klar erkennen. Fritzlar ist im nördlichen Hessen jahrhundertelang neben Hersfeld der erste und wichtigste Platz der deutschen Könige gewesen. Und das hat sich während des ganzen Mittelalters und auch noch unter der mainzischen Herrschaft auf Stellung und Ansehen der Stadt in entscheidender Weise ausgewirkt. Es mag uns heute eigenartig anmuten, daß sich einmal die Reichsgeschichte in so greifbarer Weise an diesen Orte verdichtet hat, und noch schwieriger dürfte es für uns sein, uns Wesen und Wirken der deutschen Könige hier am Orte in allen dazugehörigen Einzelheiten vorzustellen, Aber diese Ereignisse waren nun einmal Wirklichkeit und verliehen daher dem Ort eine weit über seine örtliche Bedeutung hinausweisende politische Position. In unserer frühmittelalterlichen deutschen Geschichte ist Fritzlar eindeutig der führende Platz in der Grafschaft Hessen, Und das Gewicht dieser Tatsache wird auch dadurch nicht vermindert, daß diese Zeit solange zurückliegt, wenn wir sie wieder so lebendig und unmittelbar vor uns erstehen lassen können, wie das heute wieder möglich, aber nicht nur möglich, sondern unsere eigenste gegenwärtige Wirklichkeit ist, - so, wie wir sie jetzt und hier gemeinsam erleben, ja, manche Vorgänge bedürfen anscheinend einer Zeit des unberührten Verharrens in sich selbst, um dann wieder mit erneuter Kraft hervorzutreten und uns in ihrer Gegenwärtigkeit - selbst über ein ganzes Jahrtausend hinweg wieder anzusprechen.
1918, fast genau ein Jahrtausend nach der Wahl des deutschen Königs Heinrich hier in Fritzlar, ist in Deutschland die Epoche des Königtums und der Königsherrschaft zu Ende gegangen, Es war ein Jahrtausend, daß für unsere geschichtliche Vergangenheit Höhepunkte sondergleichen umfaßt , deren Gipfel um so höher aufzuragen scheinen, je weiter sie zeitlich von uns entfernt sind. Denn Größe und Glanz des alten deutschen Kaisertums, das mit den Staufen versank, ist seitdem in Deutschland nie wieder erreicht worden. Um so mehr hat diese Epoche ihre Leuchtkraft fast ungemindert für uns bewahrt, zumal wir mit dem 20. Jhdt. in eine Periode der europäischen Geschichte eingetreten sind, von der wir nicht wissen, wie sie enden und welche Herrschaftsformen sie einmal entwickeln wird, die sich als gesamteuropäische Erscheinungen mit jenem Königtum des vergangenen Jahrtausends vergleichen ließen. Noch spannt sich der Bogen der Regierungsformen in diesem kleinen Erdteil von einem Extrem zum anderen, von verblassenden Königshäusern über alle möglichen Spielarten demokratischer Regierungsformen bis zu quasi- und brutaldiktatorischen Regierungsformen. Und wir können nicht sagen, daß es bisher eine von ihnen vermocht hätte, sich als endgültiges politisches Leitbild dieser europäischen Völkergemeinschaft durchzusetzen. Was sich in dieser Hinsicht einmal entwickeln wird, weiß niemand. Sicher ist nur, daß eine Herrschaftsform, wie sie das zu Ende gegangene europäische Königtum dargestellt hat, nicht wiederkehren kann, denn Geschichte als Geschick, als Schicksal der Völker ist ebenso unwiederholbar wie ein einzelnes Menschenleben. Und so wenden wir den Blick noch einmal abschiednehmend unserer aus dem Morgenlicht der deutschen Geschichte herüber grüßenden Königsstadt Fritzlar zu und schließen mit den Worten der Dichtung „Erinnerung und Hoffnung“:
"Was vergangen, kehrt nicht wieder;
aber ging es leuchtend nieder,
leuchtet's lange noch zurück.“
(Ende des Festvortrages)
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